06.08.2025
Die Tiroler Sommelière hat es mit Fleiß und Leidenschaft in den Olymp der Weinwelt geschafft. Im Gespräch mit Gault&Millau zeichnet sie den Weg nach.
Only the sky is the limit. Auf wenige Personen passt dieser Spruch so gut wie auf Nili Kaya. Es ist eine Bilderbuchkarriere, die die passionierte Sommelière aus der Tiroler Wildschönau hingelegt hat. Von einer klassischen Gastronomie-Ausbildung ausgehend, hat sie ihr Handwerk bei Flagship-Betrieben weiter perfektionieren können. Die Weiterbildungsmöglichkeiten der heimischen Weinwelt hat sie zielstrebig ausgeschöpft, und mit Courage und Vision ging es dann nach Bordeaux, wo sie jetzt für die bekanntesten Châteaux der Welt unterwegs ist. Im Gespräch mit Gault&Millau erzählt sie, wie es dazu gekommen ist und welchen Wegbegleitern sie immer dankbar sein wird.
Gault&Millau: Was ist der erste Wein in Deinem Leben, an den Du Dich erinnern kannst?
Nili Kaya: Das war ein Sassicaia, das weiß ich noch genau. Da war ich im Posthotel Achenkirch, die erste Station nach meiner Lehre, und der Sommelier hat uns gesagt, dass sich jeder einen Wein aussuchen sollte, den er besser vorstellen kann. Sassicaia wollte ich immer, weil er so ähnlich wie mein Name klingt. Als ich einen Gast dann fragte: „Wie wär’s mit Sassicaia?“, antwortete er: „Warum nicht?“. Er hat dann einen gereiften Jahrgang ausgesucht, und ich habe ihm ein perfektes Weinservice gemacht. Ich habe die ganze Aufregung im Team nicht verstanden. Dann habe ich gesehen, wie bräunlich der Wein war, und sagte: „Der Wein ist kaputt“. Der Gast war aber total nett und hat mich eingeladen, mir selbst ein Glas einzuschenken und zu probieren. Der Wein war großartig.
Ich kenne Dich als absolute Wein-Enthusiastin. Wie hat Dich das Fieber gepackt?
Das war genau da im Posthotel Achenkirch. Der Sommelier – Michael Kleber, jetzt wieder am Familienbetrieb Seehotel Vinzenz – hat mich total gefördert. Als Chef de Rang war ich oft in seiner Nachbarstation und konnte ihn bei der Arbeit beobachten. Er hat immer die teuersten Weine verkauft. Das Thema Wein ist intensiv gelebt worden, er hat viel Wissen weitergegeben. Wir sollten uns jede Woche 1–2 Weine aussuchen, mit denen wir uns näher auseinandersetzen sollten, damit wir sie aktiv anbieten können. Ich habe mit Österreich begonnen und mich auf eine internationale Auswahl weiterentwickelt. Ich habe heute noch alle Kassabons von den großen Weinen, die ich damals verkauft habe. Ich habe tolle Reaktionen von den Gästen bekommen – das war mir damals schon wichtig: dass ich nicht auswendig lerne und vortrage, sondern immer auf den Gast eingehe.
Als Michael dann wegging, hat er mich als Sommelière empfohlen. In der Zwischensaison durfte ich dann die Ausbildung zum Sommelier Österreich machen und danach als Sommelière (anfangs mit Begleitung) beginnen. Dann durfte ich die erste Weinverkostung für Gäste machen – darauf habe ich mich sehr gut vorbereitet. Sie war ein voller Erfolg, hat gleich fünf Stunden gedauert, und alle waren begeistert. Manche haben einzelne Weine gleich am Abend gekauft. Ich merkte, dass mir das großen Spaß machte, und gleich danach machte ich den Diplomsommelier – ich wollte alles wissen!
Wie hat Dich der Tiroler Sommelierverein bzw. die Sommelier Union unterstützt?
Als ich am WIFI den ersten Kurs besucht habe, war ich ganz blank. Ich war total überfordert, andere waren schon viel weiter. Da bin ich vom Sommelierverein unheimlich gut unterstützt worden. Die Vorträge waren so fesselnd, dass ich zu verstehen begonnen habe. Carole Stein und Norbert Waldnig haben Potenziale erkannt und gefördert. Und Annemarie Foidl (Präsidentin der Sommelier Union Austria) war sogar schon Prüferin bei meiner Lehrabschlussprüfung. Sie alle – und auch Bruno Resi – haben mich so motiviert, dass ich immer weiterlernen wollte, immer mehr Workshops gemacht und schließlich sogar bei der Sommelier-Staatsmeisterschaft mitgemacht habe (Anm.: Das war 2014). Ich hätte mich das nie getraut, doch sie sagten: „Komm, mach mit! Du hast nichts zu verlieren.“ Und recht hatten sie – es war so ein tolles Erlebnis, so gut für mein Netzwerk, mit vielen habe ich heute noch Kontakt.
Später habe ich dann auch noch die Weinakademie gemacht. Man muss sich ständig weiterentwickeln, der Markt ist so dynamisch. Ausbildung ist so wichtig. Dr. Schuller (Master of Wine, Leiter der Weinakademie) war eine große Inspiration für mich.
Weißt Du noch, was Dein Berufswunsch mit 15 war?
Ich wollte Ärztin werden. Daher habe ich auch das Gymnasium besucht, aber in der Oberstufe wollte ich nicht mehr so recht – Modeschule wäre mir lieber gewesen. Dann habe ich mich nach Unabhängigkeit gesehnt und eine Lehre als Restaurantfachfrau (mit Matura) begonnen und abgeschlossen. Da ich in den Ferien immer schon in der Gastronomie gejobbt habe, war das für mich naheliegend.
Im Nachhinein betrachtet war meine Lehre eine super Ausbildung. Da ich in allen Bereichen inklusive Küche arbeiten durfte, habe ich schon jung viele Facetten der Gastronomie kennengelernt. Mein erster Weinjob war übrigens am Glühweinstand!
Mein Lehrer in der Berufsschule legte mir nahe, dass ich unbedingt in einem Spitzenbetrieb einsteigen soll. Das tat ich dann auch und habe im Posthotel Achenkirch begonnen.
Was waren für Dich die schönsten Erlebnisse als Sommelière?
Die Zeit im Posthotel ist unvergesslich. Aber der schönste Betrieb, in dem ich jemals gearbeitet habe, war das Restaurant Waldmannsburg bei Zürich. Die Eigentümer Peter Aegerter und Ruedi Frei waren meine wichtigsten Mentoren. Im Service und in der Gastronomie allgemein haben sie im Maximum gelebt und viel weitergegeben. Es war der allerschönste Gastro-Betrieb, in dem ich jemals gearbeitet habe – wie ein Himmel auf Erden. Ich wusste, dass ich nie einen besseren Betrieb für mich finden werde.
Die Schweiz ist beim Thema Wein immer voraus. Hier habe ich noch so viel dazugelernt, hier hat auch mein Bordeaux-Bezug begonnen. Wir durften immer wieder große Namen probieren, und nach erfolgreichen Tagen wurden wir Mitarbeiter mit einer Flasche Château Gloria belohnt.
Sommelier ist der spannendste und unterschätzteste Beruf der Welt! Meine erste Weinverkostung im Posthotel… Dass Leute dafür bezahlen, dass sie mir zuhören – das war für mich so ein schönes Erlebnis. Sommellerie ist oft wie Memory – es ist so ein schöner Erfolg, wenn man den Wein findet, der perfekt zum Gast passt. Der Moment, wenn man den Korken aus der Flasche zieht und einfach alles passt!
Sämtliche Veranstaltungen, die man mit Winzern zusammen kreiert hat, sind unvergesslich.
Wie hat es Dich dann in den Weinhandel verschlagen?
Wie gesagt, ich konnte mir keinen besseren Betrieb als die Waldmannsburg vorstellen – zu schön, um wahr zu sein. Aber ich wollte auch wieder nach Hause und habe schon einen Branchenwechsel überlegt. Dann sah ich eine Ausschreibung bei Morandell, wo ich ganz in der Nähe von zu Hause arbeiten konnte. Sie haben mich genommen, und die Weinliebe wurde wieder neu entfacht. Dass ich dann auch noch das Vertriebsgebiet Achensee bekommen habe (Anm.: mit dem Posthotel), war großes Glück für mich. Ich empfehle allen Sommeliers, auch im Vertrieb zu arbeiten – da kann man sich am meisten ausleben. Ich durfte so tolle Winzerabende in den Betrieben organisieren – ich habe immer noch Tränen in den Augen, so schön war das. Mit der Zeit kann man dann sensationelle Weinkarten aufbauen. Als Sommelier im Handel ist man wie ein Architekt.
Ich bin total froh, dass ich aus der österreichischen Schule komme, weil das so von Persönlichkeiten getragen wird, die mit Leidenschaft ihren eigenen Betrieb verkörpern. In anderen Ländern gibt es dafür Angestellte.
Wieso bist Du dann nach Frankreich gegangen?
Schon zu Schulzeiten hatte ich eine hohe Affinität zu Frankreich, aber initial war es vermutlich eine der tollsten Weinreisen, die wir mit dem Morandell-Team nach Bordeaux gemacht haben. Wir hatten so tolle Führungen – die Châteaux waren so unfassbar, ich wollte gar nicht mehr weg. Und dann bekam ich eines Tages die Gelegenheit, bei den En-Primeur-Verkostungen (Anm.: Vorabverkostungen des aktuellen Jahrgangs) mitzumachen. Das hat mich davon überzeugt, dass Frankreich und speziell Bordeaux mein Spezialgebiet wird. Jeder Sommelier sollte eine Spezialisierung haben. Für mich ist Bordeaux definitiv endlos – die Rebflächen sind 2,5-mal so groß wie in ganz Österreich. Trotz der großen Auswahl bei Morandell war es mir immer noch zu wenig.
Und dann passierte etwas Schicksalhaftes: Ich habe mir den Arm gebrochen und konnte im wichtigen Dezember nur aus dem Homeoffice arbeiten. Und trotzdem schaffte ich den höchsten Umsatz bisher. Ich habe sogar meine erste Flasche Pétrus verkauft. Da wusste ich: Ich will mehr. Da habe ich beschlossen, nach Bordeaux zu gehen. Ich habe gekündigt, Initiativbewerbungen abgeschickt und nach einem herausfordernden Bewerbungsverfahren einen Job bei Léoville Poyferré bekommen. Die Welt steht einem offen! Sommeliers aus Österreich sind top ausgebildet – man ist die gefragteste Person am Markt. Tirol nimmt da noch eine Sonderstellung ein: Spitzenhotels, internationale Gäste… Hier kann man schon globale Erfahrung sammeln, ohne sein Bundesland zu verlassen.
Man muss den Mut zu mehr haben, größer denken und Abenteuer erleben. Für mich war der Gang nach Frankreich die beste Entscheidung in meinem Leben. Es ist erstaunlich, wie viele Frauen in Bordeaux Schlüsselpositionen einnehmen – hier kann man Feminität mit Wissen und Handwerk ausleben. Bei Léoville Poyferré konnte ich mein Netzwerk mit den Teams der benachbarten Châteaux ausbauen, nach der Arbeit brachte jeder angebrochene Flaschen mit, und wir verkosteten zusammen.
Und jetzt bist Du Exportmanagerin bei Maison Salin (einem der größten Bordeaux-Händler der Welt), zuständig für Zentral- und Nordeuropa.
Ich habe gemerkt, dass mein Interesse an Bordeaux immer noch nicht erschöpft ist. Dann sah ich diese Stelle, die über einen Headhunter ausgeschrieben war. Es war ein heftiger Bewerbungsprozess mit vier Durchgängen, und ich habe den Job bekommen! Ich habe dann sofort bei der Vinexpo in Paris begonnen. Ich bin nach Paris in die Arbeit gefahren! Das war ein großer Moment in meinem Leben.
Wie sieht ein wilder Monat in Deinem Job aus?
Nehmen wir den April: Es beginnt mit den En-Primeur-Verkostungen. Der Arbeitstag beginnt um 6 Uhr mit Vorbereitungen, ich besuche mit meinen Kunden mehrere Weingüter – das sind nur kurze Stopps, eine halbe Stunde pro Weingut. Jeden Abend sind Business-Dinners am Plan, die gehen bis Mitternacht. Und um 6 Uhr geht es am nächsten Tag weiter. Den Rest des Monats habe ich viele Termine bei Importeuren in den diversen Ländern – von Österreich über Deutschland bis nach Skandinavien und Osteuropa. Aber kein Termin fruchtet ohne gewissenhafte Vor- und Nachbereitung.
Man verkauft durchs Zuhören, nicht durchs Reden.
Wenn morgen der Komet einschlagen würde: Welchen Wein würdest Du am letzten Abend öffnen?
Eine Flasche Krug Champagner! Schaumwein ist wie ein Defibrillator für die Sinne. Perlage ist Gaumentanz!
(von Bernhard Degen)
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