19.05.2022
Der Betreiber der Dosage Bar à Champagne berichtet von seiner Reise zur Fachmesse Printemps des Champagne und seinen Besuchen bei kleinen Champagnerhäusern.
Wie viele Champagner Häuser können Sie aus dem Stand aufzählen? Wahrscheinlich etwa zehn. Als Erste vermutlich die Marke mit 4 Buchstaben, die jeder gerne falsch ausspricht (das T am Schluss ist laut), die „Witwe“ und den „Mönch“. Diese zehn wären allerdings nur 0,6 Prozent aller Récoltants Manipulants, die auf eigenem Grund, im eigenen Keller Champagner produzierenden Häuser. Von der Montagne de Reims im Norden bis zur Côte des Bar, dem südlichsten und sonnigsten Teil des circa 34.000 Hektar umfassenden Gebietes der Champagne.
Als Importeur von 22 sehr kleinen Produzenten (von 0,8 bis 11 Hektar Anbaufläche) war es mir heuer endlich wieder vergönnt die Champagne und damit die wichtigste Messe für Winzerchampagner und einige meiner Partner auf ihren Gütern zu besuchen. Nach drei Jahren Pause wurde in Reims ( [ʁɛ̃ːs] ausgesprochen) Anfang April die Fachmesse „Printemps des Champagne“ abgehalten, der Treffpunkt der internationalen Champagnerszene. 23 unterschiedliche Gruppierungen wie „Les Mains du Terroir“, „Special Club“, „Bulles Bio“ oder „Les Pépites Vigneron Independant“ präsentieren hier auf Mikromessen und Salons (8 bis 50 Aussteller) an fünf Tagen internationalen Händlern und Importeuren ihre Produkte von den Stillweinen Coteaux Champenois bis natürlich zur Königsdisziplin Champagner.
Die meisten Winzerhäuser produzieren bereits seit Jahren zumindest nachhaltig. Die nächsten Schritte sind die ökologische, die biologische und biodynamische Zertifizierung. Der neuen Generation gehören coole, weltgewandte Menschen an, die mit Enthusiasmus ihre Ideen von Champagner im Weingarten und Keller umsetzen. Es handelt sich um Familien, die oft in drei Generationen anpacken. Manchmal besteht das Grundteam gar aus nur zwei Personen, die für die Arbeit im Weinberg und für die Ernte tageweise Hilfskräfte engagieren. Meistens hilft das ganze Dorf mit, die Verwandtschaft sowieso.
Zwischen den Messen stehen bei mir dann also Besuche von Partnerhäusern an. Von einigen möchte ich gerne erzählen, um einen kleinen Einblick zu verschaffen. Die erste Fahrt führt zu Champagne Liébart-Regnier in Baslieux-sous-Châtillon, gelegen im Herzen des Vallée de la Marne.
Das Haus Liébart-Regnier wurde 1960 gegründet, wie so oft in der Champagne wurden hier durch Heirat zwei Grundbesitze vereinigt. Elf Hektar sind es in diesem Fall, die sich über beide Ufer der Marne erstrecken. Marion, Tochter des Hauses, Mitte zwanzig und als Exportbeauftragte der Familie bereits voll im Betrieb eingebunden, führt mich in die Weinberge. Kennengelernt habe ich sie Mitte Februar auf der Fachmesse „Wine Paris“, wo wir unsere Partnerschaft auch begründet haben. Was mich besonders angezogen hat, ist die Tatsache, dass Vater Laurent vor 20 Jahren beschlossen hat, auch die seltenen Trauben anzubauen. Arbane, Petit Meslier, Pinot Gris, Pinot Blanc machen mit insgesamt 119 Hektar weniger als 1% der Gesamtfläche der Champagne aus. Diese Trauben verleihen dem Champagner eine ganz spezielle und eigene Note. Vollends überzeugen konnten aus dem Haus Liébart- Regnier die Champagner „L’Enclos“ 100% Petit Meslier Brut Nature mit 0 Gramm Dosage sowie „Hortï“, zu je einem Drittel Arbane, Petit Meslier und Pinot Blanc mit 3 Gramm Dosage. Champagner mit einer ganz speziellen Charakteristik wie man ihn nur sehr selten ins Glas bekommt.
Marion Liébart © Friso Schopper
Gleich um die Ecke ist die Familie Konrat zu Hause in Châtillon-sur-Marne, einem 80 Einwohner zählenden Dorf, wovon 30 davon Kinder sind, wie Faustine Konrat mir erzählt. Man macht sich unweigerlich Gedanken über das lokale Entertainmentprogramm. Zurück zum wesentlichen. Das Weingut erstreckt sich über mehr als 7 Hektar auf Kiesel-Kalk- und Ton-Kalk-Böden. Die beste Grundlage, um einen eleganten Champagner mit einer starken Identität herzustellen. Selektiert und vinifiziert werden auf 3 Hektar ausschließlich die besten Parzellen. Mark und Faustine Konrat, die ich ebenso auf der „Wine Paris“ kennenlernen durfte, haben einen sehr speziellen Weg eingeschlagen, berichtet Faustine während wir in einem etwa 20 Quadratmeter großen Keller ihre 3 Champagner „Collection II“, „Rosé“ und „Velours“ verkosten. Erstens produzieren sie Champagner wie er Ihnen persönlich schmeckt und zweitens sind sie ganz stark ausgerichtet als Speisenbegleiter für die gehobene Küche dekorierter Restaurants ins Spiel zu kommen. Übrigens, Champagner eignet sich dafür generell ausgezeichnet. Konrat Champagner offenbart eine unglaubliche Intensität und Komplexität, die Dosage wird jeden Jahrgang aufs Neue mit der Verkostung des Vins Clairs festgelegt. Sie befindet sich stets im Brutbereich, also von 7 – 12 Gramm pro Liter. Guter Konrat ist teuer. Die Preise liegen mit über 60 Euro im höheren Segment meines Handelssortiment, sind aber aufgrund der geringen Verfügbareit und Qualität gerechtfertigt.
Faustine Konrat © Friso Schopper
Hautvillers verbindet der interessierte Champagnerfreund in erster Linie mit dem Heimatort des Mönchs Dom Pérignon, dem ja die Erfindung des Champagner zugerechnet wird. Ab nun aber auch als Heimatort der ältesten Weinpresse der Champagne aus dem Jahr 1888 (siehe oben). Diese wurde von der jüngsten Generation des Hauses Joseph Desruets für die Produktion ihrer Champagner reaktiviert, um deren Konzept der möglichst ursprünglichen Produktionsweise einen wesentlichen Bestandteil zu verleihen. Matthias und Thomas Kim Eun Desruets, in Seoul geboren und von François Desruets adoptiert, bewirtschaften ihre 2,2 Hektar kompromisslos ökologisch. Sabine Delon, Matthias‘ Frau zählt, während wir das Füllen der Flaschen des aktuellen Jahrgangs beobachten, auf: das bedeutet natürliches belassen des Bodens, Einsatz von Holzpfählen, die wie in alten Zeiten die Reben stützen, statt einem Traktor kommt ein Pferd zum Pflugeinsatz, entlang der Rebzeilen sind oft Rosensträucher zu finden, die anfällig für die gleichen Krankheiten wie Reben sind (einschließlich Mehltau), erkranken jedoch tendenziell früher, was genügend Zeit lässt, um die Reben zu behandeln, bevor es zu spät ist. Fazit ist, was hier gerade abgefüllt wird, ist in ein paar Jahren ein exzellenter, feingliedriger, mineralischer Champagner.
Matthias Desruets © Friso Schopper
In der Côte des Bar, genauer gesagt in Rouvres-les-vignes warten Nathalie Falmet und ihr Mann Gilbert Leseurre auf mich. Ein Traumduo, das auf 2,5 beziehungsweise 3,5 Hektar zwei getrennte Champagner-Marken produziert. Nathalie ist die Önologin, Gilbert der Experte im Weingarten. Ihr Know-how stellen sie jeweils dem Anderen zur Verfügung. „Unsere Philosophie des Rebenanbaus und der Weinherstellung ist natürlich die gesündeste, was den Respekt gegenüber der Natur betrifft“, erklärt Nathalie. Und weiter: „Es ist möglich, einen Wein einfach zu lieben, indem man die Person schätzt, die ihn hergestellt hat. Natürlich haben die Böden einen erheblichen Einfluss, aber in jedem Gebiet, in jeder Gemeinde macht der Winzer den Unterschied zwischen seinem Wein und dem seines Nachbarn.“ Besser kann man die Magie von Winzerchampagner wohl nicht beschreiben. Mit dieser Philosophie und ihren einzigartigen Champagnern hat sich Nathalie Falmet bei Expert:innen und Insidern bereits einen Namen gemacht. Gerhard Eichelmann (deutscher Kritiker, der Robert Parker der Champagnerszene) hat mehrere Tausend Champagner verkostet und in seinem unregelmäßig erscheinenden Guide „Champagne“ Nathalie Falmet als „World Class Producer“ klassifiziert. Damit befindet sie sich auf Augenhöhe mit dem Champagner-Guruhaus Jacques Selosse. Ein mehr als gerechtfertigtes Kompliment.
Nathalie Falmet und ihr Mann Gilbert Leseurre © Friso Schopper
Diese wunderbare Welt der noch weitgehend unbekannten Schaumweine ist schlichtweg faszinierend. Die Typizität dieser Weine ist nichts anderes als die Kombination von Bodenart, Mikroklima, Pflanze und Mensch. Der Unterschied zu den großen Häusern mit teilweise Millionen Flaschen Jahresproduktion liegt in der ganzjährigen persönlichen Arbeit der Winzer im eigenen Weinberg und im Keller. Und darin, dass deren Champagner nicht jedes Jahr gleich schmecken „muss“, weil ein Weltmarkt bedient werden will. Die Winzer besitzen zum Glück die Freiheit, der Natur ihren Raum zu geben und damit in deren Champagner die Charakteristik des jeweiligen Erntejahres und ihres Handwerks entfalten zu lassen. Und das schmeckt ganz hervorragend.
Friso Schopper (54) ist Quereinsteiger im Champagnerbusiness. Im Juli 2018 eröffnete der vormalige Kommunikationsexperte und Netzwerker die Dosage Bar à Champagne am Wiener Fleischmarkt 16, der im Dezember 2020 der Champagnerhandel Dosage Maison de Champagne folgte. Sein Sortiment gilt in der Branche als konsequentestes mit Focus auf die tatsächlich (noch) unbekannten Häuser. Es umfasst derzeit 150 verschiedene Champagner, die zum Großteil in der Bar verkostet werden können. Derzeit sind 50 neue Champagner auf ihrem Weg nach Wien, die ab Juni am Fleischmarkt und im Online Shop erhältlich sein werden.
Friso Schopper vor seiner Dosage Bar à Champagne am Wiener Fleischmarkt © VK
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