23.01.2023
FOTOS: Künstlerisches Experiment mit avantgardistischer Inszenierung bricht kulinarische Traditionen auf.
Scheinbar zufällig verteilte Schilder mit pointiert sinnbefreiten Sprüchen führen in das Souterrain des Wiener Bristol Hotels. Sie sind Teil der extravaganten Inszenierung von Künstler und Medientheoretiker Robin Treier, die ein wenig an ein Sozial-Experiment erinnert. Gastgeberin ist eine blecherne Stimme aus dem Off, die die Gerichte sowie die Getränkebegleitung ankündigt, begleitend flimmert das Menü über alte Röhrenbildschirme. Das Personal hält sich bewusst zurück, dafür sollen Gäste selbst zu Akteur*innen werden. Nur kurz tritt der Künstler selbst in Aktion, um entsprechende Anstöße zu geben.
Für das sechsgängige Menü zeichnet Küchenchef René Molnar verantwortlich. Klassische Formen und Traditionen werden aufgebrochen, die Inszenierung steht im Vordergrund. Bei Gerichten wie einem Champagner-Granité mit viel Trockeneis auf einem Eisblock serviert, gelingt dies spektakulär. Beim Hauptgericht, einem Filet vom US-Beef, ließ man sich auf keine Experimente ein und servierte es klassisch und am Punkt gegart. Einen spannenden Kontrast stellte die moderne Inszenierung durch die Verwendung von historischem Bristol-Geschirr und -Besteck dar. Schließlich feierte das Hotel im Vorjahr den 130. Geburtstag. Impressionen vom Menü sehen Sie untenstehend.
Freunde von klassischen Fine-Dining-Zeremonien könnten vom multisensorischen Dinner irritiert sein. Wer aber open minded ist und sich auf die Idee des Künstlers einlässt, der wird einen unvergesslichen Abend erleben. Es wurde ein “Raum der Freiheit” geschaffen, der Servicekultur in den Hintergrund treten lässt und die Gäste zur Interaktion einlädt. Der Erfolg des Abends ist daher sicher auch von der Offenheit der Besucher*innen abhängig. Bei unserem Besuch am 19. Jänner funktionierte es hervorragend, inklusive Schüttkunst-Finale: Die Gäste wurden in Tischdecken gehüllt und aufgefordert, mit einem Glas Portwein selbst zu Künstlern zu werden und entsprechende Spuren auf dem Tischtuch zu hinterlassen.
von Bernhard Degen
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