09.01.2023
Die Gastronomie im Hohen Haus setzt ganz oben an, bietet aber im Bistro, der Kantine und dem Café für Alle etwas.
Hans Kelsen gilt als Architekt der österreichischen Verfassung, der Bundespräsident Alexander van der Bellen “Schönheit und Eleganz” attestiert hatte. Kelsen ist ein würdiger Namensgeber für das Restaurant im Parlament, das dieser Tage nach umfassenden Umbau wieder eröffnet. Als gebürtiger Prager und in Wien erfolgreicher Rechtswissenschaftler steht er auch für traditionelle österreichische Küche, die ohne den Einfluss der Kronländer nicht das wäre, was sie heute ist. Die Philosophie der Küche im Restaurant Kelsen setzt auf österreichischen Ursprung, sowohl was die Rezepte betrifft, als auch die Herkunft der Zutaten. Die Liste der Lieferant*innen liest sich wie das Who is Who der heimischen Lebensmittel-Avantgarde und reicht vom Krautwerk über den Labonca Biohof bis zu Café vom See. Klassische Rezepte werden modern interpretiert, abgewandelt und/oder dekonstruiert.
Die neue Parlaments-Gastronomie teilt sich in mehrere Bereiche: Neben dem Fine Dining-Restaurant Kelsen wird es auch ein Bistro sowie ein Café mit niedriger Zugangsschwelle geben. Zudem könnte sich die Kantine zu einem Geheimtipp entwickeln, wo man neben den Abgeordneten (relativ) günstig zu mittag essen kann. Das vegetarische Menü wird auf zwölf Euro kommen, eines mit Fisch oder Fleisch auf 15. Echte Publikumsmagneten werden sicherlich die vier Dachterrassen mit Blick über Wien, die mit der warmen Jahreszeit bespielt werden sollen.
Ausgewählte Journalist*innen durften am 9. Jänner schon vorab einige Kostproben aus den Abendmenüs probieren. Angeboten wird eine vegetarische Variante namens “Leaf to Root” sowie eine fischig/fleischige Menüfolge “Nose to Tail”. Küchendirektor Manfred Stockner erklärt gegenüber der Presse stolz, dass nach Möglichkeit ganze Tiere verarbeitet werden und hebt das umfassende Lieferantennetzwerk, das in den Vorbereitungsmonaten aufgebaut wurde, hervor:
“Wenn wir schon im Parlament sind, dann wollen wir auch Benchmark sein, was hochqualitative heimische Produkte betrifft!”.
Die Geschäftsführer Christine Friedreich und Thomas Hahn sind sich der Vorbildwirkung bewusst, die mit einem Gastronomiebetrieb im Parlament einhergehen. Entsprechend nachhaltig soll nicht nur in der Küche gewirtschaftet werden, auch die Human Resources sollen langfristig entwickelt werden. Von einer angespannten Personalsituation in der Gastronomie haben sie beim Recruiting eigenen Angaben zufolge wenig bemerkt, die Schlüsselpositionen sind hochkarätig besetzt: Fine Dining-Küchenchef ist Paul Gamauf, der durch Erfahrungen unter anderem im Tian wertvolle Expertise mitbringt. Die Pâtissiers Benjamin Schröder und Jürgen Vsetecka gehören zu den gefragtesten Vertretern ihrer Zunft und F&B Manager Tobias Hoffmann sowie Restaurantleiter sowie Sommelier Daniel Gahler sorgen dafür, dass sich die Gäste rundum wohlfühlen.
Erste Kostproben wie Goldrübe mit Sanddorn und Blaumohn oder Reisfleisch mit Sonnenschwein vom Labonca Biohof waren mehr als überzeugend. Das Dessert aus süßer Karfiolcreme mit Nussbutterreis, Estragon und Gemüsechips wird in dieser Qualität nur in den besten Restaurants Österreichs serviert. Ein viergängiges Abendmenü kommt auf 58 Euro, die abwechslungsreiche Weinbegleitung mit Jahrgangstiefe auf 44. Lobend erwähnt werden muss zudem die alkoholfreie Getränkebegleitung, die mit raffinierten selbstgemachten Säften perfekt auf die Gerichte abgestimmt ist (34 Euro). Mittags bekommt man zwei Gänge übrigens schon ab 19 Euro.
Unkompliziert und dennoch in einem der schönsten Bereiche des neuen Parlaments kann man im Bistro speisen. Täglich wird eine moderne und umfangreiche Frühstücksvielfalt geboten. Von zwölf bis 22 Uhr gibt es Snacks wie Sauerteigbrot mit hausgemachter Pastrami (6 Euro) oder etwa Beinschinkenkroketten (5 Euro). Klassiker wie eine Rahmeierspeise mit Kalbskopf und natürlich ein Wiener Schnitzel (26 Euro) runden das Angebot ab. Dann wären da noch die Mehlspeisen, für die niemand geringerer als der Chief of Sugar Jürgen Vsetecka verantwortlich zeichnet.
Am günstigsten speist man an Werktagen im Selbstbedienungsbereich, der Cantina. Ein vegetarisches Menü mit Suppe, Salat oder Nachspeise ist mit zwölf Euro kalkuliert. Das Pendant mit Fisch oder Fleisch kommt auf 15 Euro. Montag bis Freitag von 11 bis 14 Uhr.
Während sich die bisher beschriebene Gastronomie auf Dachniveau befindet, liegt das Café im ebenerdigen Besucherbereich. Neben Kaffee-Klassikern wird u.a. ein “Kleines Wiener Frühstück” zu sieben Euro serviert.
Zentraler Zweck des Parlaments-Umbaus war die Positionierung als offenes Haus, entsprechend viel Wert wird auf Gastronomie für Alle gelegt. Beim Haupteingang hinter der Pallas Athene befindet sich eine Sicherheitsschleuse, wie man sie auch von Flughäfen kennt, hier muss ein Lichtbildausweis vorgezeigt werden. Da Wartezeiten nicht ganz ausgeschlossen werden können, wird eine vorherige Anmeldung empfohlen, damit soll es den Betreibern zufolge schneller gehen. Die Eröffnung ist für 16. Jänner angesetzt, bis dahin soll auch die Homepage www.kelsen.at fertig sein.
Die Architektur von Restaurant, Bistro und Kantine ist elegant, wirkt aber etwas kühl. Obwohl man sich auf Dachniveau befindet, gibt es keinen freien Blick nach außen. Sobald es warm genug ist und die Dachterrassen öffnen können, wird sich das radikal verbessern. Bis dahin wird wohl die Qualität von Küche und Service die Gäste anlocken – wenn das Niveau des Presse-Essens annähernd gehalten werden kann, dann wird das auch gelingen.
von Bernhard Degen
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