30.04.2024
Einer der besten Köch*innen Italiens verrät im Gespräch mit Gault&Millau das Geheimnis seiner Philosophie und wie dies auch in Saudi Arabien funktioniert.
Am 14. April machte sich der Ausnahme-Koch aus Südtirol auf den Weg nach Dürnstein und präsentierte im Rahmen des Wachau Gourmet Festivals seine Küche. Gault&Millau war dabei und durfte Norbert Niederkofler im Vorfeld zum Interview treffen. Nachdem das Hotel Rosa Alpina, in dem sich das Restaurant St. Hubertus befand, wegen Renovierung geschlossen wurde, eröffnete er in Bruneck sein neues Restaurant, das Atelier Moessmer Norbert Niederkofler (Gault&Millau hat berichtet). Und innerhalb kürzester Zeit wurde es wieder das höchstdekorierte Restaurant Südtirols.
Niederkofler hat es sich mit seiner 2008 eingeführten Philosophie zur Aufgabe gemacht, Traditionen zu schützen, genauso aber die Natur nicht zu belasten. Es wird mit dem gekocht, was gerade wächst und wenn es nicht wächst, muss es vorher auf irgendeine Weise konserviert werden. Dieses Konzept legte er auch auf andere Regionen um, wie etwa in Venedig, Mailand und bald auch in Saudi-Arabien.
Gibt es zurzeit Küchentrends, die Sie gerade mitbekommen, oder wovon Sie glauben, dass sie in Zukunft noch mehr auftreten werden?
Ich sehe vor allem den Trend, den wir auch mit eingeleitet haben, dieses Regionale, dass immer noch in die Zukunft rein geht. Vor allem, dass wir die Traditionen der Regionen schützen. Das heißt, egal wo du bist, dass man den jungen Leuten mitgibt, wenn man in der Wachau ist mit Produkten aus der Wachau, wenn man in Südtirol ist, mit Produkten aus Südtirol zu arbeiten.
Wir haben auch eine Veranstaltung namens CARE’s – The Ethical Chef Days gemacht und haben Köche aus den Bergregionen Indiens eingeladen und das war extrem spannend. Deswegen glaube ich, dass es in Zukunft noch mehr kommen wird, die Tradition und die Kultur zu bewahren, vor allem in Gegenden die kulinarisch sehr viel zu sagen haben wie Österreich, Deutschland, Schweiz und Italien, sonst gehen wir ein wenig in Einheitsschuhe rein und das wäre schade.
Was zur Zeit zum Beispiel in Österreich sehr häufig auftritt, ist der Personalmangel und, dass man sehr wenig junges Koch- und Servicepersonal findet. Geht es Ihnen auch so, oder haben Sie ein Rezept, wie man da dagegen wirken könnte?
Rezept habe ich jetzt keins, aber wir haben im Atelier Moessmer Norbert Niederkofler, also im neuen Restaurant, ein Durchschnittsalter von 26 Jahren. Das heißt, es ist Interesse da, das heißt, es gibt junge Leute, es gibt auch junge Leute, die motiviert sind, etwas zu machen. Aber ich glaube, man muss generell umdenken. Die Werte haben sich sehr viel verschoben, speziell nach der Pandemie.
Aber ich muss auch für mich sagen, dass man eine gewisse Life Balance braucht das ist sehr, sehr wichtig für die Zukunft. Und ich glaube, die jungen Leute suchen heute ganz klare, saubere Konzepte. Wir sehen es, die Bewerbungen, die bei uns reinkommen, die kommen hauptsächlich aus Italien, aber auch aus Europa, aus der ganzen Welt. Aber die kommen spezifisch rein für dieses Konzept, das wir haben mit diesem Cook the Mountain und vor allem auch mit diesem Gedanken für Nachhaltigkeit.
Nachhaltigkeit ist ja heute ein schwieriges Wort, aber ich glaube, es steht einfach für Respekt. Respekt mit dem Umgang, Respekt mit den Menschen, Respekt mit den Produkten, Respekt mit den Tieren, so wie wir eigentlich aufgewachsen sind. Und ich sehe, dass diese Werte sehr, sehr wichtig sind. Man muss diese Werte wieder pflegen, hegen. Und ich glaube sehr positiv daran, dass es dann eine Zukunft gibt, dass es junge Leute gibt, die Interesse haben, wirklich wieder in diesen Beruf reinzukommen.
Sie haben in Ihrer Karriere schon sehr viel erreicht. Gibt es noch irgendwelche Projekte, die Sie unbedingt angehen möchten?
Es ist unser eigenes Projekt, ich rede immer von uns, weil man ohne eine Mannschaft nichts tut und das ist extrem wichtig, aber wir sind mit unserem Projekt am Anfang. Das heißt, was wir heute geschaffen haben, das Atelier Moessmer Norbert Niederkofler ist kein Restaurant mehr. Es ist unser Zuhause und ein Culinary Think Tank sowie eine Culinary Talent Factory die junge Leute ausbildet.
Wir bilden junge Leute aus, wir suchen junge Leute, wir geben ihnen den Platz, wir suchen neue Konzepte, wir versuchen offen zu sein. Was können wir aus der ganzen Welt der Kultur einbringen, was können wir mit unseren Produkten machen? Und ich glaube, das ist mehr so wie ein Forschungszentrum. Das ist auch von der ganzen Architektur her extrem luftig. Wir haben einen tollen Vergleich da, eine tolle Synergie geschaffen, weil das einfach ein Haus ist, das komplett unter Denkmalschutz steht.
Und dann die Küche, die ist komplett in die Zukunft gedacht, mit einer offenen Küche, unserer Open Kitchen, mit einem Chefs Table, also mit einem Omakase-Table in der Küche, der immens groß ist. Das ist einfach wieder wichtig. Wir sehen das Wohlbefinden von den Leuten, auch die bei uns arbeiten, weil da ist extrem viel Licht, es ist viel Glas, es ist ein 5.000 Quadratmeter großer Park und man fühlt sich wohl. Und ich glaube, dass das für mich der Anfang ist von einer wunderschönen Reise mit einem wunderschönen Team, mit dem ich wirklich neue Wege gehen möchte.
Ich brauche auch Zeit für mich und für meine Familie, was früher vielleicht ein bisschen untergegangen ist, aber das ist machbar und das muss man natürlich auch den Gästen ein bisschen erklären, dass es auch mal sein kann, dass du nicht da bist und dass die Küche sowieso das macht, was sie jeden Tag tun, auch wenn ich da bin.
Was ist so ein Gericht, wo Sie sagen, das steht oder ist das das beste Beispiel für Ihre Küchenphilosophie?
Wir haben viele Gerichte, weil wir uns wirklich hundertprozentig an die Natur anlehnen, müssen wir schauen, was uns die Natur in jeder Jahreszeit gibt. Das heißt, man muss komplett anders denken, wir müssen fast ein Jahr im Voraus denken, weil Cook the Mountain auf Respekt und Nachhaltigkeit aufbaut. Das ist das Schwierigste, was du in den Bergegionen machen kannst, weil Du hast drei, vier Monate im Jahr gar nix. Eines der interessantesten Gerichte ist sicher das Tatar von der Renke, wo wir wirklich den Fisch, die Renke, auf den Tisch gelegt haben und gesagt haben: Bevor wir hier nicht alles verarbeitet haben, hören wir nicht auf. Und somit haben wir wirklich vom Putz bis Stingel alles verarbeitet.
Und wie ist so der Entstehungsprozess eines Gerichtes bei Ihnen? Macht jemand aus dem Team einen Vorschlag und dann wird das weiterentwickelt?
Es gibt ein weißes Blatt Papier, da gibt es vier Säulen. Da sind keine Gewächshäuser, kein Olivenöl, keine Zitrusfrüchte und kein Abfall. Und auf dem kannst du dann spielen. Das heißt, die Regeln sind ganz klar. Wenn du keine Gewächshäuser hast, was heißt das? Dass du nur das Gemüse von der Natur hast, das zu dem Zeitpunkt da ist, oder das, was du vorher eingelegt hast. Das heißt, du musst wieder ganz andere Wege gehen. Du musst in die Biodiversität reingehen und altes Wissen wieder ausgraben. Wir hatten vor ein paar Tagen ein Meeting mit einem Mykologen gehabt (Anm.: Ein Pilzwissenschafter). Der sagt: “Jungs, wisst ihr eigentlich, wie viele Pilzarten es in dem alpinen Bereich gibt?” Wir antworten: “Keine Ahnung, 40, 50, 100, 200?” Es gibt 4.000. Und dann sagt man wow. Aber wie viele von denen sind essbar? Fast alle. Wenn man weiß, wie man sie zubereitet und wenn man weiß, was man tun muss.
Wir bringen viel Wissen von anderen Kulturen mit, setzen das aber dann mit Produkten aus unserer Gegend um. Das heißt, wir machen unsere Sojasauce selber, aber mit Berglinsen, wir machen unsere Barbecue-Sauce selber, aber ohne Ketchup und ohne Alkohol, sondern nur mit fermentierten Früchten, mit getrockneten Früchten, mit frischen Früchten. Wir machten unseren Tomatenketchup selber, aber mit fermentierten Zwetschken. Wir brauchen völlig andere Zugänge.
Welches Gewürz oder Lebensmittel ist bei Ihnen in der Küche, im Atelier, nicht mehr wegzudenken? Und wenn Sie privat kochen, welches wäre dieses eine Gewürz oder Lebensmittel, wo Sie sagen, ohne dem könnten Sie nicht kochen?
Es gibt nichts mehr. Es gibt nichts mehr, weil du einfach, wenn du auf die Gemüsesorten eingehst, dann musst du die Natur so hegen und pflegen, wie sie ist. Du musst hernehmen, was du kriegst, was einfach zu dem Zeitpunkt da ist, das ist alles. Dann ist es natürlich extrem spannend, weil du nie weißt, was du bekommst. Wir machen zwar nur ein Menü, aber bei dem gibt es viermal im Jahr einen konzeptionellen Wechsel. Genau genommen gibt es aber jeden Tag ein neues Menü, weil du nicht weißt, was du bekommst, weil du nicht weißt, wie das Fleisch ist. Ob es jetzt richtig gelagert ist, oder ob die anderen Lebensmittel reif sind.
Sie haben noch ein zweites Restaurant am Kronplatz. Was sind die besonderen Herausforderungen, am Berg zu kochen?
Am Berg oben im AlpiNN Food Space & Restaurant, am Gipfel des Kronplatzes auf 2.275 mt., ist sicher die Logistik sehr herausfordernd. Es ist sehr kompliziert, weil um halb acht in der Früh geht die Seilbahn rauf und danach musst du alles oben haben. Im Prinzip ist es wie ein Bürojob: Du fährst um halb acht rauf und um fünf wieder runter. Am Anfang hatten wir das Hauptproblem, dass wir zu wenig Lagerräume hatten und wir mussten uns täglich überlegen: “Wie kriege ich jetzt die Ware diesen Berg rauf?”
Wir hatten kalkuliert, dass wir für die Wintersaison circa 30.000 Flaschen Mineralwasser auf den Berg rauffahren und die 30.000 Flaschen auch wieder runterfahren müssen. Und im Sommer dann wieder rauf… Ich habe gesagt: “Nein, das machen wir nicht und das tue ich nicht!” Und wir haben dann andere Lösungen gesucht und gefunden. Wir arbeiten heute generell mit BWT und nehmen das Wasser vom Berg und es wird gefiltert und gereinigt, weil man muss das den Leuten oft erklären.
Sie haben vorhin schon angesprochen, dass Sie sich jetzt auch mehr Zeit für die Familie widmen. Was kochen Sie privat?
Zuhause privat kocht meine Frau. Nein, Familie… Ich habe zwei Familien. Ich habe einmal die Familie im Atelier Moessmer Norbert Niederkofler bzw. die bei Mo-Food mitarbeitet. Und ich habe eine Familie zu Hause, aber wir haben viele Schnittpunkte. Ich bin ein Mensch, der extrem einfach isst. Ich bin sehr, sehr unkompliziert. Ich mag einen Milchreis genau gleich gern wie ein Teller Nudeln, genau gleich gern wie ein Wiener Schnitzel, genau gleich gern wie ganz einfache klassische Sachen.
Ich bin jetzt auch nicht mehr der Typ, der so viel essen geht, aber wahrscheinlich, weil ich schon viel essen gegangen bin. Und ich suche mir heute Sachen raus, die mich interessieren. Was für mich unbedingt wichtig ist, absolut wichtig ist, speziell im Urlaub, ist, dass die Kinder willkommen sind. Und sonst kann ich auf ein Restaurant gerne verzichten, Wenn mir jemand sagt: “Kinder möchten wir jetzt nicht haben”... Okay, dann brauchen sie auch mich nicht als Gast.
Sie kochen heute in der Wachau. Haben Sie einen Lieblings-Wachauer-Wein?
Es gibt viele Lieblingsweine. Nikolaihof, das ist sensationell. Hirtzberger, das ist sensationell. Und das ist ja das Schöne an dieser Gegend, es sind ja nicht nur die Weine, es sind die Marillen, das ist ja noch viel mehr, aber die Weine sind natürlich hervorragend. Und das ist ja im Prinzip wie in Südtirol, da hat die Entwicklung in der Gastronomie auch mit den Weinbauern angefangen.
Wenn Sie nach Österreich kommen, gibt es Restaurants, wo Sie immer wieder gerne hingehen?
Also ich bin da wieder ein ganz ein einfacher Gestrickter. Ich gehe zu Herrn Plachutta, weil es für mich einfach ein Traditionshaus ist. Weil mir das einfach gefällt, mir gefällt diese ganze Rindfleisch-Geschichte, mir gefällt das Wiener Schnitzel. Und ich liebe diese Gastfreundschaft in Österreich, die habe ich immer geliebt. Ich habe lange in Lech gearbeitet, es hat mir immer Spaß gemacht.
Und hätten Sie noch für unsere Leser*Innen einen Geheimtipp in Südtirol?
Ein Lieblingsrestaurant von mir, das ist sicher der Löwe in Tisens. Die Anna Matscher macht für mich seit ewig langer Zeit einen hervorragenden Job. Wenn man heute in Bruneck ist, gehen wir oft ins Weiße Lamm. Das ist eine Dichterstube aus dem 16. Jahrhundert, wo man wirklich zum Beispiel ein gescheites Hirschgulasch und solche Sachen isst.
Sie haben auch schon mehrfach ein Gastspiel in Venedig gegeben, wird es das wieder geben?
Wir haben ein Konzept für ein Restaurant ausgearbeitet, das wir von Cook the Mountain abgeleitet haben. Direkt kann man das nicht auf die ganze Welt übertragen, aber wir haben mehrere Projekte, bei denen wir die wichtigsten Eckpunkte regional herunterbrechen. In Venedig hat es dann Cook the Lagoon geheißen. Genau gleich wie wir in von den Bergregionen die ganze Geschichte von den Bauern, von den Produzenten, miteinbezogen haben, so haben wir das auch in Venedig gemacht.
Das hat großen Spaß gemacht, ist aber zu Ende gegangen. Wir arbeiten daran, das wieder zu machen.
Wir haben jetzt auch ein Projekt in Saudi-Arabien. Wir im Atelier Moessmer Norbert Niederkofler, bilden Leute aus. Das heißt, wir bilden Köche aus Saudi-Arabien aus. Die haben wir jetzt zwei Monate hier gehabt. Sie haben Gewürze mitgebracht und mit diesen Gewürzen haben sie mit unserem Team Gerichte entwickelt, die wir heuer im Herbst dort einbauen werden.
von Benedikt Brunmayr
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