24.07.2025

Der passende Wein ist wie ein Maßanzug

Von Tirol nach Grönland, Kasachstan und wieder auf die Alm zurück. Sommelier-Präsidentin Annemarie Foidl im Gespräch.

Annemarie Foidl
Annemarie Foidl © PlaTo Photography

Annemarie Foidl ist eine der prägendsten und inspirierendsten Persönlichkeiten der österreichischen Weinszene. Als Hüttenwirtin der Angerer Alm am Kitzbüheler Horn lebt sie authentische Gastfreundschaft inmitten der Berge und verfügt über einen Weinkeller mit einzigartiger Auswahl und Jahrgangstiefe. Seit vielen Jahren ist sie Präsidentin der Sommelier Union Austria und engagiert sich leidenschaftlich für die Aus- und Weiterbildung junger Talente. Mit ihrem umfassenden Wissen, ihrer internationalen Vernetzung und ihrer bodenständigen Art hat sie nicht nur das Image des Berufsstands nachhaltig verbessert, sondern auch wesentlich dazu beigetragen, österreichischen Wein und Sommellerie weltweit sichtbar zu machen. Mit Gault&Millau plaudert sie über ihre eigene Karriere und was sie für die heimische Weinwelt erreicht hat.

Gault&Millau: Wie wird man eigentlich Präsidentin der Sommelier Union Austria?

Annemarie Foidl: Ich habe im Jahr 1987 maturiert, dann habe ich vor meiner Selbstständigkeit eigentlich nur für zehn Monate beim Stanglwirt in Going gearbeitet. Im Jahr 1989 habe ich als jüngste Wirtin Österreichs die Angerer Alm übernommen. Nach den Erfahrungen beim Stanglwirt war für mich klar, dass ich Weine auf der Alm haben wollte. Das war damals nicht selbstverständlich, da gab es eigentlich nur die Hospiz Alm. Heute ist das etwas ganz anderes – da gibt es viele tolle Almhütten mit einer guten Weinauswahl. Ich habe dann gleich den Weinkeller aufgebaut und begehbar gemacht.
 Ich war von Anfang an Mitglied im Tiroler Sommelierverein. Zuerst habe ich mich nicht so recht herangetraut – als Hüttenwirtin unter so tollen Gastronomen. Dann habe ich mich doch getraut, auf eine Reise mitzufahren, in die Wachau. Ich hatte so viel Spaß und habe so viel gelernt, dann habe ich mich immer mehr beim Sommelierverein engagiert. Irgendwann wurde ich dann Vizepräsidentin, und seit 19 Jahren bin ich mittlerweile Präsidentin.

In diesen Jahren ist viel erreicht worden. Worauf bist du besonders stolz?

Zu Beginn war der Sommelier-Job auf Insiderkreise begrenzt, auf die gehobene Gastronomie. Ich wollte Arbeitsplätze schaffen – die Sommellerie sollte in der Gastro überhaupt ankommen. Auch auf Almhütten – wir haben Wein im wahrsten Sinne des Wortes in die Höhe gebracht. Ich wollte, dass Leute im Berufsbild eine Perspektive haben. Dabei haben wir nicht nur die Arbeitnehmer, sondern auch die Arbeitgeber angesprochen. Unterstützung von Sommeliers in der Ausbildung ist sehr wichtig und bringt allen etwas. Das war und ist meine Motivation.

Ich bin dankbar, dass man in unserem Job viele tolle Leute kennenlernt, die einen inspirieren. Am Anfang habe ich echt Klinken geputzt, wir haben viele Presseberichte bekommen, es ist immer mehr passiert. Da muss ich vielen Leuten danken, die uns da unterstützt haben. Heute ist Sommelier ja eh gehypt – ein sehr anerkannter Beruf. Das war früher noch nicht so.  In Österreich geben sich nicht alle als Sommeliers zu erkennen und treten als normale Kellner auf – mit ihnen kann man tolle Getränkegespräche führen. Es geht nicht nur um Wein!

Wir haben die Sommeliereuropameisterschaft 2017 nach Österreich gebracht, da haben wir neue Standards gesetzt, was den Ablauf und die Organisation betrifft. Dank unserer Partner und Sponsoren sowie der ASI (Anm.: Association de la Sommellerie Internationale) wurde es für alle eine tolle Meisterschaft.

Wie hat sich in dieser Zeit die Weinwelt verändert?

Das Getränkeangebot ist in der Breite sehr gewachsen. Ich habe so viele Dinge wachsen gesehen – das sehe ich als großes Glück. Früher gab es wenige herausragende Spitzen, das allgemeine Level ist heute so unglaublich hoch geworden.

Anfang der 90er-Jahre bin ich nach München zu einer Bordeauxverkostung gefahren – da waren die Château-Besitzer persönlich da und haben ausgeschenkt. Heute ist der Zugang zu ihnen schwierig. Damals war das Preisniveau auch ein ganz anderes – für meinen Weinkeller habe ich gar nicht so blöd eingekauft. Heute könnte ich mir manche Weine gar nicht mehr leisten.

Wie hat sich das Konsumverhalten aus deiner Sicht geändert?

Ich habe jahrelang ohne Weinkarte gearbeitet, ich hatte das Glück, dass mir die Leute immer vertraut haben. Jeder war begeistert. „Ich bin bei dir, damit ich was Neues sehe“ – das habe ich oft gehört. Internationale Gäste sind hier viel entspannter. Der Österreicher zieht sich da heute mehr zurück und beschränkt sich oft auf zwei bis drei Rebsorten und zwei bis drei Winzer. Es wird weniger Wein getrunken, es wird mehr glasweise getrunken. Die Zeit, dass wirklich viel getrunken wird, ist vorbei. Ich glaube, dass sie wiederkommen wird – weil wir doch genussaffine Lebewesen sind.

Die Sommelier Union bietet vielerlei Unterstützung für den Nachwuchs. Wenn du jetzt eine Berufseinsteigerin wärst, welche Angebote würdest du wahrnehmen?

 Auf jeden Fall in einem Landesverein Mitglied werden. Aber auch Jungunternehmer, nicht nur Sommeliers – dann wissen sie besser, was ihre Mitarbeiter brauchen. Bei Wettbewerben mitmachen! Man lernt da so viel. Man trifft viele tolle Leute und kann exakt über das reden, was einen bewegt. In einem Sommelierverein gibt es wenig, was vom Thema ablenkt – nicht wie im Betrieb.
 Ich habe schon vor 30 Jahren begonnen, mit Sake und Spirituosen Pairings zu machen. Das war eine spannende Zeit, denn man lernt noch einmal ganz andere Dinge kennen. Nicht jeder hat das Glück, in einem Team zu arbeiten, in dem so etwas gepflegt wird. Wir haben Menschen vom Bistro bis zum Sternerestaurant – bei uns ist niemand elitär. Wille und Interesse sind das Wichtigste. Man kann sich ohne Scheu, Angst oder Eitelkeit weiterbilden.

Wenn ich nicht beim Sommelierverein gewesen wäre, hätte ich vieles nicht erreicht. Ich habe dort Kollegen getroffen, Mentoren gefunden, mich inspirieren lassen – und auch Zugang zu Literatur, Fachzeitschriften und Weinbüchern bekommen.

Was ist für dich das Schönste an deinem Beruf?

Was mir wirklich taugt, ist das Gespräch mit den Gästen. Herauszufinden, wie jemand tickt, was ihn oder sie bewegt – und dann genau den passenden Wein zu finden. Das ist wie ein maßgeschneiderter Anzug oder ein Kleid: Wenn es perfekt passt, entsteht eine echte Freude und eine bleibende Erinnerung. Das sind für mich die großen Glücksmomente.

Oder wenn eine gereifte Flasche singt – das macht mich richtig stolz. Wenn ich auf meiner Alm mit meinen Lagermöglichkeiten den richtigen Wein im perfekten Moment für die passende Person finde – das ist erfüllend.  Und es begeistert mich, wenn junge Menschen, die ich begleitet habe – ob Sommeliers oder Winzer – ihren Weg machen. Es ist ein großartiges Metier und immer wieder motivierend.

Welche überraschenden oder außergewöhnlichen Situationen hast du als Sommelière erlebt?

Ein Beispiel: Beim Hahnenkamm-Rennen – etwa 100 Gäste, viele aus Deutschland – wollte ich deutschen Wein ausschenken. Die Idee wurde abgelehnt. Ich habe trotzdem einen deutschen Riesling serviert, und er wurde geliebt. Ich wollte einfach zeigen, wie gut deutsche Weine sind. Ein anderes Mal meinte ein Gast zuerst noch: „Den kann man doch gar nicht mehr trinken, der ist zu gereift!“ – und war dann völlig begeistert. Er wollte ihn sofort kaufen. Das war für mich ein Luxus, den ich mir in dem Moment geleistet habe. Ich mache das nicht oft, die Gäste zu überraschen – aber wenn es aufgeht, ist die Freude riesig. Auf der Alm ist es übrigens ganz anders: Die Gäste reagieren unkomplizierter, und man kann sehr fein Gastgeberin sein.

Was war der ungewöhnlichste Ort, an dem du je Wein verkostet hast?

Oh, da gibt es einige! In Grönland zum Beispiel, in einem Restaurant. Oder auf der Zugspitze – da haben wir mit der Sommelier Union ein Tasting gemacht: unten im Tal und oben am Berg, zum Vergleich.
 Bei einem Jungfernflug von Wien nach Toronto durfte ich ein Weintasting in der First Class durchführen – mit kanadischen und österreichischen Weinen. In Kasachstan war ich bei einem Wettbewerb in der großen Steppe – ich wollte dort unbedingt die Weingüter sehen. Das war total lässig.

Einmal in China habe ich in einem Restaurant mit 5000 Plätzen gegessen – sie haben nur für mich allein gekocht. So etwas passiert heute nicht mehr – es ist alles viel kommerzieller geworden. In Südafrika, Ende der 90er, habe ich Weine vorab verkostet und in meine Sprache übersetzt. Ich bin mit 70 Flaschen zurückgeflogen – unangemeldet. Das wäre heute kaum mehr möglich. Aber das waren wunderbare Zeiten.

Was machst du, wenn jemand einen Blaufränkisch Mariental mit Cola mischen möchte?

Ich würde erst einmal einen Probeschluck empfehlen. Aber es ist nicht meine Aufgabe, Gäste zu belehren.

Wie wird die heimische Sommellerie international wahrgenommen?

Soweit ich das beurteilen kann – durchaus positiv. Meine Zeitrechnung beginnt mit 1998, als die Sommelier-Weltmeisterschaft in Wien stattfand. Ich habe Österreich dort als Funktionärin vertreten und später als Präsidentin immer darauf geachtet, wie wir international positioniert sind. Ich war oft in internationalen Jurys und habe dort immer eine Masterclass mit österreichischem Wein angeboten. Österreich war in jedem Wettbewerb der letzten 25 Jahre irgendwie präsent – mit Pairings, mit Weinkarten, mit starken Auftritten.

Wir haben die Ausbildung zum Master Sommelier nach Österreich geholt. Eine tolle Synergie: Von Certified bis Master – alles wird hier geprüft, nicht nur in London oder den USA. Wir sind fixer Teil des Court of Master Sommeliers Europe.

Aber wir dürfen uns nicht auf dem Erreichten ausruhen. Mit jedem neuen Jahrgang, mit jedem neuen Sommelier müssen wir dranbleiben. Österreich darf nicht nachlassen. In der internationalen Gastronomie sind wir sehr gut vertreten – weil wir unkompliziert gedacht und einfach gemacht haben.

Es ist schön, auf der Alm zu arbeiten – Sommellerie muss nicht immer in einem Haubenrestaurant sein. Ich weiß, dass ich für viele Weinkeller ein Vorbild war. Ich freue mich sehr, dass wir in Österreich großartige Sommeliers, Winzer und Gäste haben. Ich kann nur jeden ermutigen, diesen schönen Beruf mit Leidenschaft zu leben. Gerade für Frauen ist die Branche besonders respektvoll. Ich habe so viel profitiert und möchte andere Frauen ermutigen – die Chancen sind großartig.

www.angereralm.at
sommelierunion.at

von Bernhard Degen

(bezahlte Einschaltung)

in Zusammenarbeit mit der

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