06.03.2023
Interview: Dorli Muhr ortet Nachholbedarf beim Gendern, spricht über erfolgreiche Kolleginnen und ist stolz auf den hohen Frauenanteil in Carnuntum.
Um die Jahrtausendwende waren Frauen in der Weinwelt noch Ausnahmeerscheinungen. Winzerin und PR-Profi Dorli Muhr erinnert sich, dass jungen Frauen bei Verkostungen oft nicht einmal ein Glas angeboten wurde. Es hat sich viel geändert bis heute: Frauen sind sowohl als Winzerinnen, Weinjournalistinnen und ganz allgemein als Weinfreundinnen erfolgreich und geschätzt. Der Anteil an Winzerinnen ist signifikant gestiegen. Nehmen wir als Beispiel das Weinbaugebiet Carnuntum, in denen starke Frauen wie Christine Netzl, Karoline Taferner, Johanna Markowitsch, Michaela Riedmüller, Dorli Muhr und viele mehr die Führung übernehmen.
Fast 60 Prozent der gefüllten Flaschen aus Carnuntum werden binnen der nächsten fünf Jahre von Frauen verantwortet. Bei den Rubin Carnuntum-Weingütern werden es laut Wine+Partners-Prognose sogar 72 Prozent sein. Und dennoch haben es Frauen in der Weinszene immer noch schwerer als Männer. In verschiedenen Schlüsselpositionen sitzen immer noch überwiegend ältere Herren, die sich mit der Akzeptanz von Frauen schwer tun. Und es sind immer noch die Frauen, die mit der Doppelbelastung Job und Kindererziehung zurecht kommen müssen. Anlässlich des Weltfrauentages haben wir eine Winzerin befragt, die sehr erfolgreich mit einer Dreifach-Herausforderung zurecht kommt: Neben ihrem Job im Weingarten und Keller ist Dorli Muhr Alleinerzieherin und sie leitet die Kommunikations-Agentur Wine+Partners.
Gault&Millau: Welche Reaktionen in der Weinszene hast Du wahrgenommen, als Du erstmals als Winzerin in der Öffentlichkeit aufgetreten bist?
Dorli Muhr: In meinem Fall vielleicht noch etwas spezieller, weil ich vorher schon für Marketing bekannt war. Jedenfalls hatte ich den Eindruck, dass man meine Weine ein wenig abtat. Die Stilistik war/ist doch etwas anders, als der Mainstream es mochte/mag. Und viele „Experten“ glauben auch heute noch, dass diese Stilistik eher Zufall ist, und nicht, dass ein klares Bekenntnis zur Herkunft dahinter steht. Ich glaube, dass man einen Mann dafür gefeiert hätte, bei einer Frau tat man sich schwer, das ernst zu nehmen.
Welche Rolle spielten damals Frauen in der Weinwelt?
Zur Winzerin wurde ich erst 2002, davor aber war ich schon mehr als zehn Jahre beruflich in der Weinwelt tätig. Und am Anfang war es dramatisch, weil man den Frauen (vor allem jungen) bei Verkostungen nicht mal ein eigenes Glas anbieten wollte. Frauen waren die Begleitung der Männer. Basta.
Wie hat sich der genderspezifische Stellenwert seitdem verändert?
Ja, er hat sich verändert. Aber ich meine, dass wir noch sehr, sehr weit von einer selbstverständlichen Position in der Branche entfernt sind. Wenn man fragt: Nenne mir die besten Winzer des Landes… wird kaum jemand eine Frau nennen. Und das liegt garantiert nicht an der Qualität der Weine. Der jährliche Titel heißt ja auch ganz automatisch: Winzer des Jahres. Und der Begriff wird nach wie vor nicht gegendert. Damit ist das Framing schon vorgegeben.
Welche Frau in der Weinszene hat Dich als Vorbild beeinflusst?
Ich bewundere Elisabetta Foradori. Ich bewundere Maggie Henriquez (ex Krug). Ich bewundere Andrea Mullineux. Ich bewundere Theresa Breuer. Ich bewundere Jancis Robinson MW, seit ich das erste Mal mit ihr verkostet habe. All diese Frauen sind ihren eigenen Weg gegangen, oftmals über viele Hindernisse und Schicksalsschläge. Aber sie haben sich nicht unterkriegen lassen und nicht klein beigegeben.
Gab es Situationen, in denen Du Dich als Frau diskriminiert gefühlt hast?
In jedem Satz, in dem das Wort Winzer vorkommt und nicht gegendert wird.
Wie groß war die Genugtuung, als Du internationale Erfolge verbuchen konntest?
Die internationalen Erfolge sehe ich eher als eine Selbstverständlichkeit, weil meine Weine eine präzise, elegante Stilistik anbieten, die man nur in einem so kontinentalen, trockenen, kalkhaltigen Gebiet wie dem Spitzerberg finden kann. Die Weine haben daher eine Alleinstellung, die für jede gehobene Weinkarte eine wunderbare Ergänzung ist. Von San Francisco bis Paris, von Oslo bis Melbourne bieten die besten Weinhändler*innen und Sommelièren diese Weine an und feiern sie. Mittlerweile werden sie auch in den besten Restaurants Österreichs serviert, tendenziell mehr im Westen als im Osten.
Ob die heimische Weinkritik jemals über ihren eigenen Schatten springen wird? Wir haben so tolle, anspruchsvolle Winzerinnen, die seit Jahren ihre Betriebe erfolgreich führen. Sylvia Heinrich, Heidi Schröck oder Kathi Tinnacher. Aber ihre Verdienste werden kaum ins Scheinwerferlicht gerückt. Leichter ginge es, wenn man ein bisschen mit dem Äusseren spielte und das kesse Mädel raushängen ließe. Das ist leider ein Drama. Die Winzerinnen führen nicht nur tolle Betriebe, sind super im Export, sondern ziehen nebenher und oft alleine auch noch ihre Kinder groß. Man müsste ihnen sehr viele Orden verleihen.
Wie hat sich der Stellenwert des Weinbaugebiets Carnuntum aus Deiner Sicht seit der Jahrtausendwende in der heimischen Weinszene verändert?
Carnuntum hat einen unglaublichen Fortschritt gemacht. Die Weine werden immer feiner, immer eleganter, sind immer mehr von ihrer Herkunft geprägt. Das Gebiet hat eine wunderbare Alleinstellung dank der Nähe der Donauwälder und der kühlen Nächte. Carnuntum ist heute sicherlich die eleganteste und leichtfüßigste Rotweinappellation Österreichs.
34 % der Anbaufläche in Carnuntum werden demnächst in Frauenhand sein, 58 Prozent der Flaschen werden laut Prognose von Frauen-geführten Weingütern gefüllt. Was bedeutet das für Dich persönlich?
Ich bin irrsinnig stolz auf diese Entwicklung. Das hängt mit den jungen Frauen zusammen, aber natürlich auch mit deren Eltern, für die es selbstverständlich ist, die Betriebe in Töchterhand zu legen. (Im übrigen sind diese Zahlen eine Vorschau auf die nächsten Jahre, da wird sich noch mehr bewegen). Die jungen Frauen in Carnuntum haben eine großartige Dynamik freigelegt, der Spirit im Gebiet ist ein ganz anderer als noch vor wenigen Jahren. Es freut mich total, dass wir in so vielen Hinsichten eine federführende Appellation geworden sind.
Wenn Du selbst Weine kaufst, wird Deine Kaufentscheidung beeinflusst, ob es sich um weibliche oder männliche Winzer*innen handelt?
Ich verkoste sehr viele Weine von Frauen, und ich freue mich über jeden Wein aus Frauenhand, der mich überzeugt und lege ihn mir in den Keller.
Wie gehst Du mit frauenfeindlichen/sexistischen Weinbeschreibungen um? Übergehst Du das oder konterst Du?
Ich habe mich immer darüber lautstark aufgeregt. Aber heute ist es so, dass wir einander anschauen, die Augen verdrehen und uns abwenden. Üblicherweise kommen solche Aussagen nur noch von alten weißen Männern, und sie sagen damit mehr über ihren eigenen Untergang aus, als dass sie noch jemanden damit verletzen.
von Bernhard Degen
Melden Sie sich kostenlos für unseren wöchentlichen Newsletter an.