11.01.2023
Heimische Haubenköche sehen hierzulande gute Stimmung – Statements von Heinz Reitbauer, Juan Amador, Rudi Obauer und Toni Mörwald.
Wenn das mehrfach zum besten Restaurant der Welt gekürte Noma seine Schließung (in zwei Jahren) ankündigt, dann muss es um die Spitzengastronomie schlecht bestellt sein. So liest sich der Tenor der heimischen und internationalen Presse nach dem angekündigten Rückzug von Starkoch René Redzepi. Ganz anders sehen das vier der besten Köche Österreichs, die sich nach den Corona-Jahren endlich wieder über gute Nachfrage und positive Stimmung freuen. Es scheint fast so zu sein, dass die am besten bewerteten Restaurants am besten gebucht sind. Und noch ein interessantes Detail: In Österreich gibt es laut ORF aktuell sogar mehr Restaurants als vor der Pandemie, das befürchtete Restaurantsterben ist also bislang ausgeblieben.
Unsere führenden Köche sehen die angekündigte Noma-Schließung jedenfalls sehr gelassen und ohne Bezug auf die heimische Gastronomie. Das Noma hat sich mit seiner Küchenlinie zu unablässiger Kreativität verpflichtet, und stößt damit wohl irgendwann an Grenzen. "Man kann das Kochen nicht ständig neu erfinden", kommentiert Juan Amador. Das hat wohl auch Ferran Adriá erkannt, dessen El Bulli-Höhenflug bemerkenswerte Parallelen zum Noma aufweist. Beide Restaurants wurden von der 50-Best-Liste mehrfach zum besten Restaurant der Welt gekürt, beide Betriebe kündigten lange im Voraus Schließungen an, um Koch-Labore aufzubauen. Beim El Bulli wurde das tatsächliche Ende übrigens mehrfach verschoben.
Alle befragten Köche sehen die Noma-Kulinarik meilenweit von der österreichischen Spitzengastronomie entfernt. “In Österreich sind die Gastronomen langsam mit den Gästen gewachsen”, sagt Steirereck-Chef Heinz Reitbauer. “Wir sind da einfach geerdeter, fast alle Top-Betriebe sind familiengeführt und mit einem Verständnis für Qualität langsam gewachsen. Anderswo wurde in kurzer Zeit mit viel Kraft etwas sehr schnell hochgezogen. Bei uns ist die Küche regional geprägt und kaum jemand ist von internationalen Gästen abhängig".
Der Salzburger Rudi Obauer hinterfragt die wahre Intention hinter dem Noma-Rückzug: “Warum kündigt Redzepi genau jetzt das Ende an? Was hat sich geändert? Wieviel hat der Tourismus und die Stadt gesponsert? Wieviel haben sie früher den Mitarbeiter*innenn bezahlt?” Der Fünf-Hauben-Koch berichtet, dass die Stimmung aktuell sehr gut ist, sieht aber doch mangelnde Wertschätzung gegenüber der Arbeit. Das Problem sei eher gesellschaftspolitisch, aber die österreichischen Werte wie Freundlichkeit und Gastfreundschaft werden gelebt und sind nachhaltig erfolgreich. Überhaupt will er nichts von “Fine Dining” wissen: “Nennen wir es kultivierten Genuss! Das beinhaltet aber auch, dass wir nicht ‘to go’ und auf der Straße essen."
“Man kann vom Noma nicht auf die ganze Branche schließen”, findet auch Juan Amador, der ebenso wie René Redzepi mit drei Michelin-Sternen ausgezeichnet ist. “Viele haben die Mitarbeiter jahrzehntelang nicht angemessen bezahlt. Jetzt zu sagen, dass es nun wirtschaftlich nicht nachhaltig ist, stimmt nur für Einzelne. International sind die besten Restaurants voll."
“Ich war nie ein Freund der ‘Nordic Cuisine‘” sagt Haubenkoch und Gastronom Toni Mörwald. “Auch die Molekularküche war nicht nachhaltig. Fine Dining ist immer etwas Besonderes, darf aber nicht darauf abzielen, immer kreativ sein zu müssen. Spitzengastronomie wird es immer geben, aber wer so außerirdisch kocht, der spricht vor allem Einmal-Gäste an. Liebe, Leidenschaft, Authentizität, Regionalität und Gastgebertum sind die Stärken der heimischen Küche – dafür kommen die Gäste immer wieder.
Zum Thema “Nordic Cuisine” nach Noma-Art findet Rudi Obauer klare Worte: “Ich nenne es nordisches Märchen. Das hat es im Alpenraum schon immer gegeben, für uns war es aber selbstverständlich. Das ist natürlich und keine Wissenschaft und kein Marketing. Es geht um Sinn und Unsinn, es geht um Menschen und Lebensmittel. Ein Koch ist ein ständiger Forscher, Naturversteher, Handwerker und Lebensmittelveredler. Er hat der Natur nicht ins Handwerk zu pfuschen!”
Die befragten Köche erkennen dennoch die Leistung von René Redzepi und dem Noma-Team an, es hat unbestrittene Kreativitätsschübe gegeben und viele Türen geöffnet, sagt Amador. Einig sind sich aber auch alle, dass Medien plakative Schlagzeilen brauchen, um Wirkung zu erzielen. Die Ankündigung der Schließung war für die Buchungslage des Noma sicherlich kein Nachteil. Dem Vernehmen nach konnte man zuletzt sehr kurzfristig noch Tische bekommen, während man am Höhepunkt des Hypes eine monatelange Wartezeit hinnehmen musste.
Es bleibt abzuwarten, ob der Termin per Ende 2024 aufgrund der mit guter PR-Arbeit einhergehenden Nachfrage tatsächlich ultimativ ist.
von Bernhard Degen
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