03.01.2022
Diese Entwicklungen werden die Ernährung sowie den Getränkekonsum im neuen Jahr prägen – von TikTok als Küchenchef bis Better-for-you-wine.
Modebegriffe wie Dry January oder Veganuary verursachen bei Genussmenschen wohl eher ein flaues Gefühl im Magen, dennoch gibt der Jänner einen ersten Eindruck von der dominierenden Tonlage im Jahr 2022. Um die Entwicklung in der Zukunft zu erahnen lohnt sich ein Blick zurück: Nicht alles was uns vor einem Jahr als Megatrend präsentiert wurde hat sich auch durchgesetzt. Eine prognostizierte Entwicklung hat uns allerdings das gesamte Jahr 2021 über begleitet und wird Trendforschern zufolge auch 2022 tonangebend bleiben: Plant-based Food und Sober Drinking. Es sind vor allem die Rahmenbedingungen der Corona-Pandemie, des Klimawandels und von Social Media, die das Ernährungsverhalten beeinflussen, aber lesen Sie selbst:
Mit Sicherheitsabstand haben wir das zum Teil genussfeindliche Gehabe von Veganern beobachtet und entsprechend kommentiert, doch seit plant-based Food in der internationalen Spitzengastronomie immer mehr Fuß fasst, beginnt auch bei uns Feinschmeckern ein Umdenken. Starchefs von San Francisco (Dominique Crenn) über New York (Daniel Humm) bis London (Alexis Gauthier) haben auf rein vegetarische Küche umgestellt und weltweit Nachahmer gefunden. Die allerorts sichtbaren Auswirkungen des Klimawandels bringen immer mehr Menschen dazu, sich über den Beitrag des Essens Gedanken zu machen. Gleichzeitig geraten Fleisch-Produzent:innen immer mehr unter Druck, mancherorts ist schon ein veritables Meat-Bashing zu beobachten. Sogar über eine Meat-Tax wird immer lauter nachgedacht. Leider wird diese Diskussion viel zu oft undifferenziert geführt, denn es gibt besonders in Österreich genügend Möglichkeiten für nachhaltigen Fleischkonsum abseits der Massentierhaltung.
Bevor man zu drastischen Maßnahmen wie Strafbesteuerung von Fleisch greift, sollte man sich überlegen, wie man die vorhandenen Ressourcen effizienter nutzen kann. Es waren bereits sehr erfreuliche Entwicklungen wie “Nose to tail” oder mehr Wertschätzung der Innereienküche zu beobachten. Auch die Kreativität bei Upcycling ist bewundernswert: Köstlich die Schweinerüssel-Chips von Heinz Reitbauer oder crunchy frittierte Sardinengräten von Robert Letz. Aus altem Brot wird mancherorts Bier gebraut oder Schnaps gebrannt, die Bäckerei Ströck verarbeitet es im köstlichen “Wiederbrot”. Nicht alles kann genussvoll verwertet werden, aber ein weiteres innovatives Beispiel sind die gefragten Taschen aus Karpfenleder von Yupitaze im Waldviertel.
Der anhaltende Megatrend zu plant-based Food hat eine wahre Industrie an fleischlosen Alternativen ins Leben gerufen. Pilze, Hülsenfrüchte, Algen etc. werden zu veganen Würsten, Burger-Patties, Steaks etc. verarbeitet. Das Wiener Startup Revo-Foods setzt bei der Produktion von Lachsersatz auf eine weitere Trend-Technologie: Der Fake-Fisch aus Erbsenprotein und Algenextrakt kommt aus dem 3D-Drucker, der die faserige Textur von Lachsfleisch nachbaut. Aber auch nicht-vegane Fleisch-Alternativen wie Insekten oder sogar Quallen werden eine wachsende Rolle spielen.
Es sieht ganz danach aus, als ob die Corona-Pandemie uns auch im neuen Jahr wieder mehr beschäftigen wird als uns lieb ist. Die starke Nachfrage nach Liefer- und Abholservices wird wohl aufrecht bleiben und wieder sprunghaft steigen, sollte es zu weiteren (Gastro-)Lockdowns kommen. Aus den USA ist zu beobachten, dass die Zahl der sogenannten Ghost-Restaurants weiterhin ansteigt – dabei handelt es sich um Betriebe, die ausschließlich zustellen und keinen Gastraum mehr haben. Mit den “TikTok Kitchens” (siehe unten) wird der Trend noch weiter verstärkt.
Viele österreichische Haubenköch:innen bieten Gerichte in Gläsern oder sogar ganze Menüs an, die zu Hause nur noch finalisiert werden müssen, viele Bars offerieren ihre Signature Drinks prebottled. Manche schaffen es mit ihren Kreationen sogar in die Supermärkte: beispielhafte “Chefs on Shelves” sind Ana Roš, Lisl Wagner-Bacher oder die Nenis.
Viele Menschen haben aufgrund der Corona-Beschränkungen die Vorzüge von Online-Händlern wie gurkerl.at schätzen gelernt und wollen die komfortable Form des Lebensmitteleinkaufs auch 2022 weiterhin nutzen. Es wird weiterhin viel zu Hause gekocht werden und die digitale Vernetzung von Produzent:innen, Gastronom:innen und Konsument:innen wird sich weiter entwickeln. Einen Blick in die Zukunft gewähren uns auch hier wieder die USA: Fahrrad- und andere Boten liefern nicht nur fertige Gerichte, sondern immer mehr auch Lebensmittel binnen kürzester Zeit.
Trendforscherin Hanni Rützler sieht in lokal produzierten exotischen Lebensmitteln wie Avocados, Feigen, Zitrusfrüchten, Reis, Wasabi, Garnelen etc. einen der wichtigsten Trends des jungen Jahres. Die Corona-Beschränkungen haben die Bedeutung lokaler Lebensmittelproduktion weiter verstärkt, die Lockdowns haben die Sehnsucht nach kulinarischen Entdeckungen geweckt. Hinzu kommt, dass zweifelhafte Produktionen und lange Lieferwege vermieden werden können.
Kochen und Ernährung sind bei der Generation Z nicht bloß Genuss oder Nahrungsaufnahme, sondern auch Lifestyle und Teil ihrer Identität. Diverse Social Media-Kanäle – allen voran TikTok – geben Rezepttrends vor, die nicht selten viral werden, siehe #TikTokFetaPasta. Auch Prominente wie Gigi Hadid erzeugten mit einfachen Gerichten wie ihrer Vodka Pasta echte Hypes. Das Nachkochen derartiger Hashtag-Magnete beeinflusst das Essverhalten einer ganzen Generation und trägt das Seine zum globalisierten Geschmack bei. Obwohl besonders die TikTok-Rezeptvideos davon leben, dass sie auch von Ungeübten einfach umgesetzt werden können, will der Social Media Riese in den USA virale Kochvideos in echte Mahlzeiten verwandeln, die tatsächlich bestellt werden können. Sogenannte "TikTok Kitchens" sollen zunächst an etwa 300 Standorten Gerichte ausliefern. Bis Ende nächsten Jahres sollen laut Bloomberg mehr als 1.000 derartige Restaurants öffnen.
Das Bedürfnis nach bewusstem Konsum setzt sich auch in der Getränke-Industrie fort. Ähnlich boomend wie Fleisch-Alternativen sind alkoholfreie Drinks wie nachgebauter Gin, Rum oder Whisky. Alkoholfreies Bier ist zwar schon ein alter Hut, der Konsum aber immer noch stärker wachsend als von echtem Bier, ebenso sind Wein und Schaumwein ohne Alkohol immer gefragter und das nicht nur im Dry January oder in der Fastenzeit. Auch alkoholischer Genuss unterliegt dem verbreiteten Bedürfnis nach Kalorien-Reduktion und weniger Zucker, Hard Seltzer ist eine logische Folge daraus, auch wenn es in Europa noch keinen Boom ausgelöst hat.
Obwohl Kiffen in den US-amerikanischen Trendmetropolen schon salonfähig geworden ist, wird der Cannabis-Handel in Europa noch dem steuerfreuen Schwarzmarkt überlassen. Dennoch boomen hierzulande nicht berauschende CBD-Produkte, die immer öfter ihren Weg in Drinks finden: Während Mixologen schon länger damit arbeiten, springt auch die Industrie immer mehr auf. Almdudler mit Hanfblüten verfeinert erfreut sich großer Popularität und auch mehrere Craft-Beer-Schmieden setzen auf CBD-Extrakte.
Die Nachfrage nach biologischen und natürlichen Getränken soll auch im Jahr 2022 weiter steigen, das sehen auch die Studien-Autor:innen des Daten- und Analyseunternehmens Global Data. Eine aktuelle Umfrage zeigt, dass Angaben zu Natürlichkeit oder Bio überwiegend als attraktiv empfunden werden. Besonders hervorgehoben wird diese Vorliebe in Zusammenhang mit Wein, bei dem biologische Produktion, reduzierter Schwefel, geringerer Alkohol und eine Vegan-Kennzeichnung sehr geschätzt werden.
von Bernhard Degen
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